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27.3.202514mTranscribed

DDR-Jugendweihe: die sozialistische Alternative zur Konfirmation

Episode Description

Am 27. März 1955 finden in der DDR die ersten Jugendweihen statt. Neben Hochzeiten etabliert sich das Staatsritual als absoluter Höhepunkt im familiären Alltagsleben. Von Thomas Klug.

Episode Transcription

Speaker 1
(Musik wird im Hintergrund gespielt) ARD.
Speaker 2
Ein großes Ereignis. Es geht die Zukunft der Menschheit, Frieden und Sozialismus. Oder wie es Zeitzeugen formulieren:
Speaker 3
Das Ereignis, wo es üblich war, dass man die größten Geschenke gekriegt hat.
Speaker 4
Da war das immer das, wo es Geld gab.
Speaker 1
(Musik spielt) 27. März 1955. In der DDR finden die ersten Jugendweihen statt. Guten Tag, Christel, Ingeborg, Gerda und wie ihr alle heißt. 11:40 Uhr, Radio DDR, zweites Programm. Hier ist der Schulfunk mit einer Sendung für die Schüler der achten Klassen. In wenigen Wochen werdet ihr das feierliche Gelöbnis ablegen, als junge Bürger unserer Republik für die große und edle Sache des Sozialismus zu arbeiten und zu kämpfen. Habt ihr euch eigentlich schon Gedanken über eure Kleidung an eurem Festtag gemacht? Du, Christel, möchtest einen Faltenrock und ein passendes Jäckchen haben. Nun, das würde auch mir gefallen. Achte nur darauf, dass der Stoff nicht zu dunkel und das Jäckchen nicht etwa wie Muttis Kostümjacke gearbeitet ist. Ihr tretet aus dem Kreis des Kindseins in den der Erwachsenen. Menschen so die vierzehn. Es ist offenbar ein Alter, in dem etwas passieren muss. Rituale sind gefragt. Die Menschen, so die vierzehn, sollen glauben, dass man über Nacht erwachsen wird. Ein Zeremoniell soll das richten. Erwachsenwerden durch Kommunion, Konfirmation, Jugendweihe. Viel Beschwörung. Die Geldgeschenke sind in Sichtweite. Ansonsten fester Blick in eine glorreiche Zukunft. Sicher tun Sie gut daran, liebe Eltern, sich gelegentlich Zeit zu lassen für Ihr Kind.
Speaker 2
Denken Sie daran, welche unausgesprochenen Fragen Sie bewegten damals. Sprechen Sie ruhig darüber.
Speaker 1
(Musik spielt) Die Jungeweie ist ein absoluter Höhepunkt im familiären Alltagsleben. Sie gehört neben der Hochzeit zu den größten Familienfesten in der DDR. Das belegen Forschungsarbeiten der Humboldt-Universität. Zwanzig, manchmal sogar mehr Gäste, sind keine Seltenheit. Schließlich weiß Ihre Tochter, dass Sie auch einmal jung waren und fragt sich, wie das wohl gewesen ist. Was können Sie tun für Ihr Kind, jetzt, da es den Schritt ins Leben tut? Es wird das Jahr 2000 erleben.
Speaker 3
Und vor allem gilt unser Dank am heutigen Tag unserem Arbeiter-und Bauernstaat, der sozialistischen Einheitspartei und allen Werktätigen in unserer Republik, die die Voraussetzungen dafür schufen, dass unsere Kinder heute eine gesicherte Zukunft besitzen.
Speaker 2
Der DDR-Rundfunk erklärt jedes Jahr aufs Neue, wie wichtig und toll die Jugendweihe ist. Der guvernantenhafte Ton wird weniger. Eines bleibt unverändert: Die Jugendweihe in der DDR ist Teil der Staatsideologie. Und die ist wenig zurückhaltend.
Speaker 3
Ihr, liebe Mädel und Jungen, die ihr einst die Schwelle des Jahres 2000 überschreiten werdet, habt das große Glück, die Zukunft mit zu gestalten und mitzuerleben.
Speaker 1
Wo heute noch ewiges Eis herrscht, werden fruchtbare Landstriche sein. Im Leben der Menschen wird es mehr Raum geben für Freude am Schönen, an guten Büchern, an Theater, Musik, Malerei.
Speaker 2
Die Menschen werden freundlicher, gütiger sein. Sie werden geräumige, sonnige Wohnungen haben, mit Fernheizung und Müllschlucker. Ihre Arbeitszeit wird kürzer sein, denn der Sozialismus wird in den bedeutendsten Ländern der Erde herangewachsen sein. Der Sozialismus und die Zukunft. Wer wollte in den 1950er-Jahren schon daran zweifeln, wenn der DDR-Rundfunk die sozialistische Zukunft im Jahr 2000 ausmalt. Der Jugendweihe voraus gehen die sogenannten Jugendweihestunden der FDJ. Ideologisch, sozialistisch, unvermeidlich. Fdj, das ist die Freie Deutsche Jugend, auch gerne als Kampfreserve der Partei bezeichnet. Die Partei, das ist natürlich die Staatspartei SED. Und Jugendweihstunden heißt, ein Jahr lang einmal wöchentlich eine Extraportion Staatsideologie. Die alternde Obrigkeit gibt den Ton vor, die nachfolgenden Generationen nehmen ihn gelangweilt auf. Sich dem zu entziehen, trauen sich nur wenige. So wie wir heute arbeiten, werden wir morgen leben. Vorwärts für den Sieg des Sozialismus und zur Sicherung des Friedens. Es ist das ideologische Grundrauschen der DDR. Eine Mischung aus Kampfparolen und Plakaten, Parteitagsreden, Schulunterricht und Überschriften in den Medien. Arbeitet, lernt, lebt sozialistisch, vorwärts unter dem Banner des Marxismus, Leninismus. Lehrer und Erzieher, eure Fähigkeiten für die sozialistische Erziehung der Jugend zur klugen, gebildeten Bürgern des Arbeiter-und Bauernstaates. Alles sollte besser werden. Die Floskeln, die Begeisterung für den Sozialismus erzeugen sollten, würden zu verstopften Gehörgängen bei gelangweilten Jugendlichen. Und nicht nur bei ihnen. Jugend in Stadt und Land. Seid aufrichtige und kühne Erbauer des Sozialismus. Werdet Meister eures Fachs. Die DDR ist das wahre Vaterland der deutschen Jugend. Erstaunlich, wie hölzern und langweilig Sprache sein kann. Waren die Losungen jemals ernst gemeint? Glaubte jemand, dass die unendliche Wiederholung zu echter Begeisterung führen könnte? Zur Vorbereitung auf die Jugendweihe, feierlich, sollten die FDJler ihre sozialistische Heimat kennenlernen, kämpferisch und klassenbewusst. Gepflegte Lustlosigkeit der Jugend trifft auf sorgsam geplante Träume der Obrigkeit und der DDR-Rundfunk tut, als wären alle begeistert. Zum Beispiel bei Betriebsbesichtigungen. Jugendliche besichtigen sozialistische Betriebe und hören dabei die Floskeln, die ohnehin durch die DDR wabern. Durch fleißiges Lernen, die heilige Sache, des Sozialismus stärken, denn nur dort haben alle eine glückliche Zukunft, wenn sie brav und heldenhaft dem Imperialismus trotzen. So beeindruckend schlicht ist das offiziell vermittelte Weltbild der DDR.
Speaker 4
Wir haben kennengelernt einen neuen Betrieb, in welche Länder er exportiert. Und es ist eben immerhin sehr interessant und man kann direkt auf seinen eigenen Staat stolz sein, also dass es eben solche Werke gibt.
Speaker 2
Im Frühjahr schließlich finden die Jugendweihefeienden statt.
Speaker 3
Euren Dank an unsere Republik, liebe Jungen und Mädel, wird, davon sind wir fest überzeugt, in guten Taten beim Aufbau des Sozialismus seinen Ausdruck finden.
Speaker 2
Feierliche Kleidung und einprägsame Reden. Oder wie Zeitzeugen sagen?
Speaker 1
Da wurde eine Rede gehalten, an die ich mich nicht mehr erinnern kann.
Speaker 3
Es waren einfach Worte, so wie die Propaganda, die auf uns eingeplätschert ist.
Speaker 4
Im sozialistischen Sinn dann natürlich.
Speaker 2
Ja, das geloben wir. Ja, das geloben wir. Die Jugendweihe ist keine Erfindung der DDR. Sie gibt es schon seit 1857 in Deutschland. Zunächst bei freireligiösen Gruppen, später in der Arbeiterbewegung. In der DDR wurde sie zum staatstragenden Pflichtprogramm für Jugendliche der achten Klassen. Offiziell ist die Teilnahme an der Jugendweihe freiwillig. Natürlich. Hast ja ein Ziel vor den Augen.Die erste DDR Jugendweihe findet 1955 statt, am 27. März. Die Berliner Zeitung dichtet.
Speaker 5
Girlandengeschmückte Straßenbahnen brachten festlich gekleidete Jugendliche mit ihren nicht minder sorgfältig angezogenen Eltern und Verwandten zu dem schönen Kulturhaus.
Speaker 6
Ja, eine Zeitungsnotiz als Zeitzeuge der ersten Jugendweihe. Es waren genau zweiundfünfzigtausend dreihundert zweiundzwanzig Mädchen und Jungen, die sie empfingen damals, 1955. Exakt waren die siebzehn Komma sieben Prozent aller in Frage kommenden Schüler. Die Prozentzahl liegt heute so bei fünfundneunzig bis siebenundneunzig. Mittlerweile mögen es schon an die sechs Millionen DDR Bürger sein, die die Jugendweihe empfangen haben.
Speaker 2
Verkündet der DDR Rundfunk 1984. Zahlen sind wichtig in der DDR. Mit ihnen lassen sich Erfolge ausdrücken. Da ist es mit der Jugendweihe wie mit den Wahlergebnissen immer möglichst nahe an die einhundert Prozent Zustimmung. Bei der Planerfüllung in den Betrieben müssen es natürlich über einhundert Prozent sein. Die Obrigkeit ließ die Zahl der Teilnehmer an den Jugendweihen als Planerfüllung, als Zuspruch für ihre Politik. Sozialismus, der begeistert. Zahlen lügen dann, wenn sie für die falschen Dinge herhalten sollen. Im Alltag der DDR ist die Jugendweihe einfach ein Anlass, mal wieder zu feiern. Der Sozialismus feiert einfach mit, als ungebetener Gast, als alltägliches Hintergrundrauschen, als Tinnitus der Staatsideologie.
Speaker 7
Mir fällt dazu ein, dass es schon lange vorher sehr aufregend in der Schule war, ne, weil das betraf ja unsere ganze Schule Ernst Fürstenberg, in der ich war. Und das betraf die achten Klassen 1977 und jede Klasse hatte so dreißig Schüler.
Speaker 2
Evelyn Geist aus Ostberlin. Heute arbeitet sie als Hebamme in Hessen.
Speaker 7
Wir wussten nur, dass diese Feierlichkeit in 'ner Volksbühne stattfinden würde, damals. Bei mir war das so, dass viele von der Familie nach Berlin kamen.
Speaker 8
Meine Jugendweihe, ja, ist lange her, war im April 1981, verbunden mit einer Feierstunde im Theater, anschließend mit Gästen der Familie Essen gehen. Ja, es war ein sehr feierlicher Tag. Man wurde in den Kreis der Erwachsenen aufgenommen. Das hatte durchaus 'ne Bedeutung für uns damals als Kinder und es gab natürlich auch Geschenke.
Speaker 2
Wolf Steffen Weisker aus Thüringen arbeitet heute als Ingenieur in einem Chemiekonzern in Rheinland Pfalz.
Speaker 8
Ich hätte mich weigern können, aber dann hätte ich mit höchster Wahrscheinlichkeit nicht die erweiterte Oberschule besuchen dürfen und daraus hätte dann gefolgt, dass ich nicht hätte studieren dürfen.
Speaker 9
Die Jugendweihe, das war für mich halt 'n Ereignis, was keine Spuren hinterlassen hat.
Speaker 2
Petra Lange aus Thüringen arbeitet heute als Bürokauffrau in Bayern.
Speaker 9
Ich hab diesen Menschen, der uns da eigentlich das alles beibringen sollte, die Werte des Sozialismus, wir haben den halt glücklich gemacht. (Lachen) Mein Gott.
Speaker 2
Höhepunkt der Jugendweihe ist das Gelöbnis. So sieht es die Obrigkeit.
Speaker 5
Ja, das geloben wir.
Speaker 2
Was genau, das liest der Redner vor. Die Gelöbnisse variieren je nach aktuellen Erfordernissen und Erkenntnissen der obersten Genossen.
Speaker 5
Seid ihr bereit, als junge Bürger unserer deutschen demokratischen Republik mit uns gemeinsam, getreu der Verfassung für die große und edle Sache des Sozialismus zu arbeiten und zu kämpfen und das revolutionäre Erbe des Volkes in Ehren zu halten? So antwortet, ja, das geloben wir.
Speaker 6
Seid ihr bereit, mit uns gemeinsam eure ganze Kraft für die große und edle Sache des Sozialismus einzusetzen? So antwortet mir, ja, das geloben wir.
Speaker 2
Die Antworten fallen immer gleich aus. Weniger enthusiastisch, mehr peinlich berührt, weniger mit Überzeugung, mehr mit dem Gedanken, lasst das bitte hier schnell vorbei sein. Immerhin jeder und jede konnte sich hinter dem Wir verstecken.
Speaker 5
Ja, das geloben wir.
Speaker 8
Wir haben euer Gelöbnis vernommen. Ihr habt euch ein hohes und edles Ziel gesetzt. Ihr habt euch eingereiht in die Millionenschar der Menschen, die für Frieden und Sozialismus arbeiten und kämpfen.
Speaker 10
Feierlich nehmen wir euch in die Gemeinschaft aller Werktätigen in unserer deutschen demokratischen Republik auf und versprechen euch Unterstützung, Schutz und Hilfe. Mit vereinten Kräften vorwärts. (Applaus)
Speaker 2
Jetzt schnellt der Peinlichkeitsfaktor in die Höhe. Die Jugendlichen werden namentlich aufgerufen, gehen in kleinen Gruppen auf die Bühne, erhalten ein Buch und einen Blumenstrauß. Viel schlimmer wird es nicht. Es hilft in diesem Moment, an die Geschenke der Verwandten zu denken, die später überreicht werden. Die kommunistische Weltanschauung konnte tatsächlich einmal die Massen begeistern. Die DDR konnte diese Begeisterung nicht am Leben halten. Zu schnell wurde klar, der Weg in eine Zukunft namens Kommunismus ist eine Diktatur. Eine Diktatur führt niemals zum Glück aller, egal was sie auch versprechen mag. Die erzwungenen Bekenntnisse zum Sozialismus waren wertlos. Es wurde feierlich gelobt, was gelobt werden musste. Die meisten haben mitgemacht. Wie in eine Diktatur hineingeboren wird, empfindet vieles als normal, was nicht normal ist. Der Satz, man darf ja gar nichts mehr sagen, war noch nicht erfunden. Er wäre auch gefährlich gewesen, weil jeder wusste, dass er stimmte. In einer Diktatur beklagt man fehlende Meinungsfreiheit lieber nicht. Eine Diktatur behauptet, im Namen des Volkes zu sprechen. Wer das anders sieht, ist bald im Abseits. Eine Diktatur diszipliniert schnell.
Speaker 9
Wir haben das hingenommen und jeder hat so seinen eigenen Stiefel dann gemacht, weil man konnte sich ja eh dagegen net auflingen. Da ist mir ja sowort negativ aufgefallen, das wär kontraproduktiv gewesen.
Speaker 11
WDR Zeitzeichen, jeden Tag ein Stück Geschichte. Autor Thomas Krug. Redaktion Christoph Tiegel und Zefa Inci Suak. Nächste Folge über den Maler Marc Chagall.

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